Fluggastreform
Fluggastreform, Foto: pixabay

Nach über zwei Jahrzehnten will die Europäische Union ihre Fluggastrechte grundlegend reformieren. Der aktuelle Vorschlag sieht vor, dass Flugreisende künftig erst ab vier Stunden Verspätung Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung haben sollen – bei Langstrecken sogar erst ab sechs Stunden. Bislang liegt diese Grenze bei drei Stunden. Die geplante Änderung sorgt nicht nur bei Verbraucherverbänden, sondern auch bei mehreren Mitgliedsstaaten und zahlreichen Abgeordneten im EU-Parlament für großen Widerstand.

Hintergrund der Reform

Hintergrund der Reform ist ein Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft, der eine Anpassung der bestehenden Verordnung vorsieht. Ziel war ein neuer Kompromiss, auf den sich die Verkehrsministerinnen und -minister der EU-Staaten nach langen Verhandlungen am 6. Juni geeinigt haben. Doch der Entwurf ist noch nicht rechtskräftig. Das Europäische Parlament muss ihn zunächst beraten, was voraussichtlich im Herbst geschieht. Die Bundesregierung und mehrere Abgeordnete haben bereits angekündigt, sich dem Entwurf in seiner aktuellen Form zu widersetzen.

Weniger Entschädigung für Reisende

Konkret bedeutet der Vorschlag eine spürbare Verschlechterung für viele Flugreisende. Denn die Mehrheit der Verspätungen liegt im Bereich zwischen zwei und vier Stunden – genau dieser Zeitraum würde künftig nicht mehr entschädigt. Nach Schätzungen des Fluggastrechte-Portals Flightright würden bis zu 60 Prozent der aktuellen Entschädigungsansprüche ersatzlos wegfallen. Besonders betroffen wären Flüge innerhalb Europas, die meist unter 3500 Kilometern liegen.

Neue Rechte, aber auf wessen Kosten?

Doch es gibt auch Stimmen, die den Vorschlag befürworten. Die polnische Regierung lobt die neuen Regelungen, weil sie nicht nur geänderte Entschädigungsschwellen beinhalten, sondern auch über 30 zusätzliche Rechte für Reisende. Dazu zählen verpflichtende Umbuchungen auf andere Airlines oder alternative Verkehrsmittel wie Züge sowie vereinfachte Auszahlung von Entschädigungen. Trotzdem bleibt der Kern der Debatte: Geht dieser Kompromiss zulasten des Verbraucherschutzes?

Neue Entschädigungsgrenzen bei Verspätungen

Bisher erhalten Reisende in der EU eine Entschädigung ab einer Verspätung von drei Stunden. Diese richtet sich nach der Flugdistanz:

  • 250 Euro bei Flügen bis 1500 Kilometer

  • 400 Euro bei Flügen bis 3500 Kilometer

  • 600 Euro bei Flügen über 3500 Kilometer

Der neue Kompromiss sieht eine deutlich höhere Schwelle vor. Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

Flugdistanz Aktuelle Regel (ab 3 Std.) Neuer Vorschlag (ab 4 bzw. 6 Std.)
Bis 1500 km 250 € Keine Entschädigung
Bis 3500 km 400 € 300 € (ab 4 Std.)
Über 3500 km 600 € 500 € (ab 6 Std.)

Für viele Reisende bedeutet das eine klare Verschlechterung ihrer Rechte. Bei häufigen, aber kürzeren Verspätungen fällt die Entschädigung künftig komplett weg.

Ablehnung durch Deutschland und mehrere Fraktionen

Deutschland stimmte gemeinsam mit Spanien gegen den Vorschlag. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) hatte einen eigenen Entwurf eingebracht. Dieser sah eine einheitliche Entschädigung von 300 Euro ab drei Stunden Verspätung vor – unabhängig von der Flugdistanz. „Wir haben den Verbraucherschutz in den Mittelpunkt gestellt“, erklärte Schnieder nach der Abstimmung.

Auch auf EU-Parlamentsseite gibt es breite Ablehnung. Jan-Christoph Oetjen (FDP), Markus Ferber (CSU) und Vivien Costanzo (SPD) kündigten an, dem Kompromiss in seiner jetzigen Form nicht zuzustimmen. Sie sehen darin einen Rückschritt für den Verbraucherschutz und werfen den Mitgliedstaaten vor, falsche Prioritäten zu setzen. Laut Markus Ferber haben sich drei Stunden als Richtwert bewährt und seien ein tragbarer Ausgleich zwischen den Interessen von Passagieren und Fluggesellschaften.

Die Sozialdemokraten im EU-Parlament sprechen offen von einem Vertrauensbruch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Viele Passagiere würden durch die neuen Regeln komplett aus dem Entschädigungssystem fallen, obwohl sie Stunden am Flughafen verbringen müssten.

Stimmen aus der Luftfahrtbranche und aus Polen

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) begrüßt die geplanten Änderungen. Der Verband argumentiert, dass es für Fluggesellschaften einfacher werde, bei längeren Fristen Ersatzflüge zu organisieren. Bisher führten hohe Entschädigungsforderungen häufig dazu, dass Airlines eher auf Ersatzflüge verzichten.

Der polnische Verkehrsminister verteidigte den Kompromiss. Neben den geänderten Entschädigungsschwellen beinhalte der Vorschlag zusätzliche Verpflichtungen für Fluggesellschaften:

  • Bereitstellung alternativer Beförderungen

  • Umbuchung auf andere Fluglinien oder Bahnverbindungen

  • Einfachere Abwicklung von Entschädigungszahlungen

Jan-Frederik Arnold vom Portal Flightright widerspricht: Die neuen Schwellenwerte würden nicht zu mehr Pünktlichkeit führen. Vielmehr sei das Argument der Airlines unglaubwürdig. „Uns ist kein Fall bekannt, in dem ein Flug storniert wurde, um eine Entschädigung zu vermeiden“, erklärt Arnold.

Weiterer Verlauf bleibt offen

Der Kompromiss ist bislang nur ein Entwurf und kein verbindliches Gesetz. Im nächsten Schritt muss das Europäische Parlament zustimmen oder Änderungen vorschlagen. Diese Verhandlungen sollen im Herbst beginnen. Bis dahin gelten weiterhin die bisherigen Fluggastrechte.

Ob sich der Vorschlag in dieser Form durchsetzen lässt, ist ungewiss. Sollte das Parlament den Entwurf ablehnen, müssten die Mitgliedstaaten eine neue Fassung erarbeiten. Für Flugreisende bleibt die Unsicherheit bestehen – vorerst profitieren sie weiterhin von der Drei-Stunden-Regel.

Quelle: Reise Reporter

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